
Meine nächsten 10 Schritte sind ungewiss.
Florian Zumkehr ist Zirkusartist. Der Basler lebt seit einigen Jahren in Berlin und hatte auch schon Engagements in den USA. Nun hat die Corona-Pandemie sein Leben auf dem Kopf gestellt. Das Resultat: Eine erste EP mit eigenen Songs. Im E-Mail-Interview mit miwi.ch erzählt Zumkehr mehr über «10 steps».
miwi.ch: Florian, wie wurdest du vom Zirkusartist zum Musiker?
Florian Zumkehr: Musik hat schon immer eine grosse Rolle in meinem Leben gespielt. Als Kind habe ich Klarinette gelernt, jedoch hat mir bei diesem Instrument immer ein bisschen das Gefühl von Musizieren gefehlt, denn es ist nunmal kein Begleitinstrument, sondern man spielt halt einfach eine Melodie und kann dabei ja leider nicht singen.
Mit 18 habe ich dann angefangen Gitarre zu spielen und habe mir dies komplett selber beigebracht.
Komponiertest du damals auch schon die ersten eigenen Songs?
Ja, ich habe schon bald auch angefangen, eigene Songs zu schreiben. Irgendwie war das immer ein schöner kreativer Ausgleich zu meiner Arbeit als Artist – ohne physische Verausgabung. Ich habe diese Songs immer wieder mal Skizzen-mässig aufgenommen und mit meinen Freunden geteilt. Es war aber mehr eine Archivierung meiner Songs als dass man es als ernsthaftes «Recording» bezeichnen konnte. Ich träumte aber schon lange davon, eine kleine Selektion dieser Songs professionell aufzunehmen, jedoch hatte sich der Zeitpunkt nie so richtig ergeben. Auch hatte ich lange nicht das Gefühl, dass die Songs gut genug sind, dass es sich lohnt, soviel Geld und Arbeit rein zu stecken.

Meine Arbeit und die Industrie, so wie ich sie aus der Zeit vor Corona kenne, ist komplett inexistent.
Nun kam also dieser «richtige Zeitpunkt». Mitschuldig ist auch die Corona-Pandemie. Wie hat sie dein Leben als Zirkusartist verändert?
Um ehrlich zu sein, dies hat mein Leben um 100 Prozent verändert. Ich bin seit 2007 freiberuflicher Artist und habe seit dann im Schnitt immer 200 Shows im Jahr gespielt. Dieses Jahr werden es wahrscheinlich insgesamt 6 Auftritte sein.
Was bedeutet dies für dich konkret?
Ich bin im Sommer auf eine Alp im Simmental gegangen, um dort zu lernen, wie man Käse macht. Es war das erste Mal seid knapp 14 Jahren, dass ich beruflich was anderes gemacht habe als Artist zu sein. Das Leben ist, wie gesagt, seit dem 12. März 2020 komplett anders und neu – wie eigentlich für jeden. Meine Arbeit und die Industrie, so wie ich sie aus der Zeit vor Corona kenne, ist jedoch komplett inexistent.
Käsemachen tönt zwar nach einer spannenden neuen Erfahrung. Aber was heisst die Pandemie für dich finanziell?
Ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich nach 14 Jahren erfolgreiches Arbeiten als Artist – mit Stationen, die mich bis zum Broadway nach NYC gebracht haben – nun Sozialhilfe in Deutschland beziehe. Ich hoffe sehr darauf, dass die Politik bald merkt, dass wir Künstler arbeiten wollen, es nur leider zur Zeit nicht dürfen. Am meisten hoffe ich jedoch, dass die Politik merkt, dass Kunst systemrelevant ist.

Spass stand bei der Produktion der EP an erster Stelle
Auf deiner ersten EP sind drei Songs. Wieso hast du diese für die EP ausgewählt?
Ich bin mit circa 15 Song-Skizzen zu meinem guten Freund und Produzenten Lukas Thielecke. Uns war wichtig, dass wir eine Soundästhetik finden, die meine Songs unterstützt, aber auch, dass es immer noch meine Songs bleiben. Es klingt zwar doof, aber der Spass stand wirklich an erster Stelle. So haben sich aus den Skizzen ganz natürlich diese Songs entwickelt, an denen es uns am meisten Spass gemacht hat, dran zu arbeiten.
Das sagt Florian Zumkehr über die drei Songs auf seiner EP |
![]() Last Page: Der Song «Last Page» handelt von einer Beziehung, die man mit einem Menschen eingeht, bei der man irgendwie weiss, dass es keine Zukunft hat. Das kann frustrierend sein, muss es aber überhaupt nicht. Ich habe die Erfahrung mit jemandem machen dürfen, dass es auch wirklich geht, den Moment zu geniessen. Dies, auch wenn man weiss, dass irgendwann in dieser Geschichte, die man zusammen schreibt, der Schmerz kommen wird. Man weiss, die letzte Seite vom Buch wird weh tun, aber man liest zusammen das Buch lachend. |
Glaswalls: Bei Glaswalls geht es auch um die Verbindung zu jemandem, den man sehr gerne mag. Jedoch fühlt sich das Ganze irgendwie nicht so ganz richtig an, was den Zeitpunkt angeht. Man weiss, man hat etwas für einander übrig, aber vielleicht haben beide Parteien einfach gerade selber zu grosse Baustellen. Und so reicht die Verbindung, die man hat, eben nicht aus. Ich schreibe im Song davon, dass es dann besser ist, los zu lassen und darauf zu hoffen, dass dieses blockierende Gefühl, was sich manchmal wie eine Glaswand oder Käseglocke anfühlt, vielleicht ja irgendwann bricht und man sich dann wieder sieht und es alles passt. |
10 steps: Dieser Song geht um den Moment, als ich 30 war, und mit meinem Vater auf einer Wanderung war. Ich merkte, dass ich 15 Jahre lang ohne gross nach links und rechts zu kucken, meinem Traumberuf hinterher geeifert bin. Auf dieser Wanderung habe ich realisiert, dass mein Erfolg und meine ganz persönliche Wanderung mit ganz viel Aufopferung und Verzicht kam. Man kommt nur vorwärts, wenn man auch was hinter sich lässt. |
Was erhoffst du dir von der Veröffentlichung deiner ersten Songs?
Ich hoffe, dass meine Hörerschaft ein bisschen über mein Freundschaftsumfeld hinaus geht, denn ich denke, die Songs haben nun eine Qualität mit der ich mich «raus» trauen kann. Das Musik am Ende Geschmacksache bleibt, ist klar. Ich hoffe aber, dass ich es vielleicht schaffe, mit meiner Musik bei jemand «Wildfremdem» etwas Emotionen auszulösen – so, wie Musik dies bei mir selber auch tut.

Mir ist bewusst, dass ich ein Artist bin, der auch Musik macht.
Was löst Musik bei dir aus und was bedeutet sie dir?
Musik ist ein ständiger Wegbegleiter in meinem Leben. Lieder erinnern mich an Orte, Momente, Gefühle. Songs schaffen es manchmal, dass man wie nochmal an einen Ort zurück reisen kann an dem man etwas Bestimmtes erlebt hat. Musik hilft mir enorm, meine Emotionen zu verarbeiten – sowohl wenn ich sie höre, als auch wenn ich sie selber mache.
Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Zirkusartist und Musiker?
Als Artist versuche ich oft, mir immer neue Herausforderungen auf der Bühne zu geben oder die best mögliche Version von Bühnenperformer von mir selber zu werden. Da liegt es nicht fern, das Hobby Musik auch auf die Bühne zu bringen und sich dieser Herausforderung zu stellen. Mir ist dabei jedoch durchaus bewusst, dass ich Artist bin, der auch Musik macht und würde mich nie in erster Linie als Musiker bezeichnen, denn dafür habe ich viel zu grossen Respekt und Demut vor jedem Musiker mit dem ich bis jetzt arbeiten durfte.
Wo siehst du also deine nächsten «10 Schritte» – als Zirkusartist oder willst du ganz auf die Musik setzen?
Ich bin sehr offen was die Zukunft angeht. Ich denke, man muss gerade in diesen Zeiten flexibel bleiben. Ich denke auch, es wäre falsch nun auf irgendeine Kunstform zu setzen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass ich weiterhin Songs schreiben werde und weiterhin mein tägliches Akrobatiktraining mache. Meine nächsten 10 Schritte sind ungewiss. Ich weiss aber, dass sie in einem anderen Tempo passieren werden, als die letzten 10. ;)
Bilder: Christoper Peetz
Die EP «10 steps» ist hier auf iTunes erhältlich. Mehr über Florian Zumkehr gibt es unter florian-zumkehr.com.